„Das halte ich nicht aus…“

Eine flüchtige Begegnung hat Ada nachdenklich gemacht. Wie soll sie damit umgehen, wenn Andere nicht aushalten, dass sie angefeindet wird? Hier teilt sie ihre Gedanken. 


Dieser Artikel thematisiert Queerfeindlichkeit und missglückte Solidaritätsbekundungen.


Berlin, Ostkreuz. Ich warte mit meiner Partnerin auf die S-Bahn. Es ist kalt und ungemütlich, deshalb stehen wir eng aneinander gekuschelt. Eine Person, die neben uns wartet, macht sich unvermittelt bemerkbar. Schaut zu uns herüber, durchaus nett.

“Also, was ihr für Blicke ertragen müsst! Das halte ich nicht aus.”

Mit diesen Worten entfernt sie sich kopfschüttelnd ans andere Ende des einfahrenden Zuges. Welche Blicke gemeint sind, weiß ich natürlich sofort. Als sichtbar queere Person im öffentlichen Raum bin ich so was gewohnt. Trotzdem bin ich zuerst verwirrt. Ich denke, der zum Ausdruck gebrachte Unmut gilt vielleicht uns. Inzwischen bin ich mir aber relativ sicher, dass es sich hier um eine verunglückte Solidaritätserklärung gehandelt hat. Wie so häufig ist auch hier gut gemeint nicht das gleiche wie gut gemacht. Ich weiß die Intention durchaus zu schätzen, aber ich musste noch lange mit einem unschönen Gefühl an den Moment zurückdenken.

Mit den Blicken ist es nämlich so: Ich kenne sie gut, aber ich habe mich mittlerweile soweit daran gewöhnt, dass ich — je nach Tagesform — nicht mehr ständig darauf achte. Außerdem finden sie ja auch meist am Rande meiner Wahrnehmung statt, weil nur wenige Menschen dabei beobachtet werden wollen. In der Regel schauen sie verwirrt oder angewidert, manchmal neugierig, manchmal auch durchaus freundlich und unterstützend. Wenige Blicke sind offen feindselig oder herausfordernd. Auch an diesem Tag war ich mehr mit mir und meiner Freundin beschäftigt als damit, herauszufinden, ob gerade jemand scheiße guckt. Bis ich darauf aufmerksam gemacht wurde. Ab diesem Zeitpunkt habe ich natürlich, obwohl ich mich bemüht habe, es nicht zu tun, doch wieder auf die Blicke geachtet.

Bei aller Kritik hatte der Kommentar aber durchaus auch etwas positives. Denn auch wenn die Blicke auf der Straße zu Hintergrundrauschen werden, kosten sie mich Kraft. Sie bedeuten eine Anstrengung, die selten anerkannt wird. Und selbst wenn die Kommentare in offene Feindseligkeit ausarten, haben mich die Filme und Bücher meiner Jugend sowie unzählige gut gemeinte Ratschläge gelehrt, dass ich auf eine bestimmte Art und Weise auf Feindseligkeit zu reagieren habe: erhobenen Hauptes und mit dickem Fell. Bloß nichts anmerken lassen. Auch das kostet Kraft, und sorgt nicht selten für Schuldgefühle, nämlich dann, wenn es nicht gelingt. Wenn es doch weh tut. Insofern tut es gut, zur Abwechslung mal gespiegelt zu bekommen, dass es manchmal schwer auszuhalten ist.

Zurück zum Ostkreuz. Da stehen wir nun also und schauen uns etwas ratlos an, unsicher, wie wir die Situation einordnen beziehungsweise mit ihr umgehen sollen. Wirklich weiter bin ich damit immer noch nicht gekommen. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass diese Person sich der Situation lieber entziehen wollte als sie auszuhalten. Wenn ich könnte, würde ich das auch oft (aber nicht immer) tun. Du kannst nicht jeden Kampf kämpfen, also: geschenkt. Ich kann auch verstehen, dass es sich nicht gut anfühlt, in so einer Situation das eigene Privileg zu nutzen, sich zu entziehen und die direkt Betroffenen damit allein zu lassen. Da ist es schon besser, etwas zu sagen und Zivilcourage zu zeigen. See something, say something.

Aber — und das, denke ich, ist der Punkt — es geht nur eines von beidem. Mich auf eine unangenehme Situation aufmerksam zu machen, kann für sich schon problematisch sein. Nämlich dann, wenn ich ihr in dem Moment nicht ausweichen kann. Solange mir keine Gefahr droht, bewirkt ein solches Eingreifen: genau nichts. Außer mir bewusst zu machen, was los ist. Immerhin lässt es mich dabei wissen, dass ich mir die Blicke nicht einbilde. Aber danach einfach wegzugehen und mich mit dem Problem allein zu lassen? „Check mal deine Privilegien!“ möchte ich fast sagen, aber das bringt ja auch nichts.


von Ada

Ada schreibt tagsüber Software und spielt nachts Gitarre.