Juhu, ich bin Ärztin! Toll! Wär ich doch mal Arzt geworden, dann sähen meine Aussichten auf eine großartige Karriere (mal ganz abgesehen davon, ob ich sie haben möchte oder nicht) jetzt viel besser aus¹. In diesem Text vermische ich eigene Erfahrungen und Beobachtungen im Krankenhaus mit dem, was ich von Kommiliton*innen, Genoss*innen und Ärzt*innen gehört habe. Leider war es nicht nötig, mir irgendetwas davon auszudenken.
Dieser Artikel thematisiert Alltagssexismus, Hierarchien, Sexismus im Krankenhaus.
Das letzte Jahr habe ich unbezahlt in einer Klinik gearbeitet, mein praktisches Jahr absolviert. Ein Drittel davon durfte ich in einem Fachbereich verbringen, den ich mir selbst aussuchte, die anderen zwei Drittel waren festgelegt: Innere Medizin und Chirurgie.
In der Inneren Medizin habe ich viel Alltagssexismus erfahren und mich zum Beispiel fast daran gewöhnt, ständig von meinen Patient*innen als „Schwester“ bezeichnet zu werden, sobald ich das Zimmer betrat. In der Chirurgie war dann alles anders. Zu dem, was ich in der Inneren Medizin schon erlebt hatte, kam hier noch der Sexismus meiner Kolleg*innen hinzu. Im Umgang untereinander wirkte er so „normal“, kein Mensch sagte irgendetwas gegen die „Witze“, die natürlich nicht ernst gemeint gewesen seien, sondern nur „Spaß“. Jedes Mal, wenn ich mit in den OP ging, begegnete mir irgendein Spruch, den ich lieber nicht gehört hätte. Ich habe es am Anfang nicht kommentiert, war neu auf der Station und traute mich nicht, die Menschen direkt auf ihre Fehler hinzuweisen. Lange habe ich es aber nicht ausgehalten, meinen Mund zu halten. Zum einen, weil ich schon bald darauf angesprochen wurde, ob ich denn keinen Spaß verstehe, weil ich nicht mitlachte, und zum anderen, weil der „Spaß“, den ich nicht verstanden hatte, häufig auf Kosten der Menschen gemacht wurde, die selbst weder hätten mitlachen können noch die Ärzt*innen dafür hätten verprügeln können, weil sie in Vollnarkose vor uns auf dem OP-Tisch lagen. Bei den ach so tollen „Witzen“ und Kommentaren wurde nichts ausgelassen: die eine Patientin sei zu fett gewesen, die andere habe doch sicher Brustimplantate – was sofort nochmal in ihrer Akte nachgeschaut werden musste, bei der anderen wurde einfach mal angefasst, um zu testen, ob die Brüste echt sind – und andere hatten vor der OP doch glatt vergessen ihre Schamhaare so zu rasieren, dass der zuständige Operateur es für ästhetisch hielt. Komischerweise wurden auf diese Weise immer nur weiblich gelesene Körper kommentiert, nie männliche.
Nachdem ich meinen Kolleg*innen klar gemacht hatte, warum ich deren „Witze“ nicht lustig finde, hat es nicht lange gedauert, bis sich die Sprüche gewandelt haben. Wenn ich den OP betrat, musste ich mir keine sexistische Kackscheiße mehr anhören, dafür nun öfter so etwas wie: „Oh, jetzt steht die wieder mit am Tisch, jetzt müssen wir aufpassen, was wir sagen.“ Das bedeutete zwar auch, dass ich selbst die „Witze“ jetzt nicht mehr ertragen musste, aber es machte auch klar, dass sie unverändert da waren, wenn ich nicht mit am Tisch stand.
Den nächsten Abschnitt möchte ich einer Ärztin widmen, die mir den schlimmsten Tag in meinem praktischen Jahr beschert hat. Herzlichen Glückwunsch an sie, das hat sie echt richtig gut hinbekommen. Zu meinem Glück musste ich nur selten mit ihr zusammenarbeiten, denn es war einfach unmöglich, Aufgaben zu ihrer Zufriedenheit zu erledigen. In allem, was ich tat, fand sie Fehler. Ich arbeitete ihrer Meinung nach nicht schnell genug, nicht genau genug und war natürlich auch für alles verantwortlich, was überhaupt nicht in meinem Aufgabenbereich lag. Alle Scheißaufgaben, die sie nicht selbst erledigen wollte, hat sie mir übergeholfen. Ständig hat sie Konsequenzen angedroht, falls etwas schief gehe und lies mich die ganze Zeit spüren, wie scheiße und nutzlos ich sei. Fast verwunderlich, dass sie mich nicht dazu gezwungen hat, ihr einen Kaffee zu holen oder ähnliches. Sie ist nicht nur mit mir so umgegangen, sondern auch mit allen anderen Studis, die mit ihr arbeiten mussten. Am nächsten Tag entschuldigte sie sich manchmal dafür, dass sie so grob zu uns war, aber das müsse man lernen und damit müsse man umgehen können, wenn man in der Unfallchirurgie als Frau etwas erreichen wolle. Da müsse man sich durchboxen und gegen die männlichen Kollegen behaupten können. Nochmal herzlichen Glückwunsch an sie, dafür, dass sie es geschafft hat, damit mindestens genauso scheiße zu sein wie ihre männlichen Kollegen.
In der Klinik kam es mir häufig so vor, als wäre ich die einzige, die es störte, und die etwas sagte, wenn nicht nur sexistische, sondern auch anderweitig diskriminierende Sprüche fielen. Dank meiner Genoss*innen weiß ich, dass es auch andere Menschen gibt, die im Gesundheitssystem arbeiten und sich dort nicht alles gefallen lassen. Das tut gut. Es fühlt sich auch richtig an, dass ich im OP den sexistischen Kommentaren widersprochen habe und dass die Ärztin aus dem letzten Abschnitt jetzt weiß, dass wir wenig von ihrem Umgangston halten. Es war mir aber auch von Anfang an klar, dass ich nicht Chirurgin werden möchte und in Zukunft nicht wieder mit diesen Menschen zusammenarbeiten muss. Aber wie damit umgehen, wenn ich bald einen Job anfange, in dem ich gern noch eine Weile bleiben möchte? Da ist es nicht so praktisch, gleich in den ersten Tagen zur Außenseiterin zu werden, die immer meckert und den anderen ihren „Spaß“ verdirbt.
Ich habe noch keine konkrete Antwort auf diese Frage gefunden, aber zwei wichtige Dinge habe ich dennoch gelernt:
- Wenn ich groß bin, will ich nicht so scheiße werden!
- Es ist großartig, Verbündete/Genoss*innen zu haben!
Verweise
(1) https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/article/805669/medizinkarriere-maennlich.html oder http://spowi.uni-leipzig.de/~Karmed/index.html
von Rina
Rina möchte auf keinen Fall Chirurgin werden. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich u. a. mit Gesundheitspolitik und zwischenmenschlichen Beziehungen. Nichtstun und einfach mal chillen kann sie leider (noch) nicht so gut.