Sara Ahmed schreibt über feminist killjoys, über Feminist*innen als Kritiker*innen. Kritik führt zu Reaktionen – auch im unmittelbaren Umfeld. Inspiriert durch Ahmed habe ich die Reaktionen meiner Eltern reflektiert, die mich noch bis heute beschäftigen.
Dieser Artikel thematisiert feminist killjoys, Eltern-Kind-Beziehungen, Glücksversprechen und feministisches Handeln.
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„Du musst ein bisschen aufpassen mit deinem Feminismus.“
Meine Mutter ist eine unglaublich tolle Frau. Einer der selbstständigsten, aktivsten, interessiertesten, motiviertesten Menschen, die ich kenne. Ich bewundere ihre Gabe, mit jedem Menschen augenblicklich ein spannendes Gespräch zu führen. Ihre Art, stets interessiert neue Ideen, Lösungen und Ansätze zu finden, anzuhören und anzunehmen. Meine Mutter packt an. Sie übernimmt Verantwortung und verändert die Welt. Jeden Tag steckt sie Energie in ihre Vision einer offeneren, gerechteren, schlicht besseren Welt.
In vielerlei Hinsicht versuche ich so zu sein wie sie und bin doch ganz anders. Dennoch habe ich von ihr gelernt, mich nicht mit dem Ist-Zustand abzugeben. Sie hat mir vorgelebt, wie man ständig das Gegebene hinterfragt und mit den eigenen Möglichkeiten und Privilegien auf einen Soll-Zustand hinarbeitet. Im weitesten Sinne würde ich es auf meine Mutter zurückführen, dass ich mich heute als Feministin bezeichne.
Umso mehr hat es mich überrascht, dass sie eines Tages diesen Satz zu mir gesagt hat: „Du musst ein bisschen damit aufpassen – mit deinem Feminismus, Kind…“
Der Satz bezog sich auf Männer und die Annahme, dass es für mich als Feministin wohl schwer werden würde, einen Partner zu finden. Doch es schwang einiges mehr mit in dieser einfachen Aussage:
Du musst aufhören, so kritisch, so widerstrebend, so feministisch zu sein. Sonst wirst du es schwer haben, eine Beziehung zu führen, denn das kann man ja keinem Mann zutrauen. Dann wirst du keine Familie gründen können, denn das geht nicht ohne Mann. Du wirst alleine alt werden, denn nur als Paar ist man im Alter nicht allein. Du wirst nicht dem heteronormativen Idealbild entsprechen. Kurz, du wirst unglücklich sein.
Der Satz entsprang einer tiefen Sorge meiner Mutter. Einer Sorge um mein Glück. Ich verstehe, dass eine Mutter im Grunde nur möchte, dass ihre Tochter ein gutes, ein einfaches, ein „normales“ Leben führen kann. Das wünscht sich wahrscheinlich jede Mutter für ihr Kind.
Aber gleichzeitig frage ich mich, wie meine Mutter darauf kommt, dass ich überhaupt ein glückliches Leben führen könnte, wenn ich „damit“ aufhören würde. Wenn ich aufhören würde, Kritik zu üben. Wenn ich einen Partner hätte, mit dem ich nicht über Alltagssexismus oder Geschlechterstereotypen diskutieren kann. Oder eine Familie, in der Care-Arbeit nicht wertgeschätzt wird. Wenn ich mich in der Rolle als (Ehe-)Frau den gängigen Normen unterwerfen würde. Wenn ich den Ist-Zustand annehmen würde. Wenn ich aufhören würde, Feministin zu sein. Als ob das eine Option wäre.
Wie kam meine Mutter darauf, dass das der Weg zu meinem Glück sei? Meine Mutter, die sich selbst nie mit dem Ist-Zustand abgefunden hat, reproduzierte auf einmal konservative Werte. Ich verstand die Welt nicht mehr: Denkt sie wirklich, dass mein Glück in der Kleinfamilien-Reihenhaus-Idylle liegt?
Diese Idee ist in erster Linie eine Reflexion ihres Glücksverständnisses. Es sind Vorstellungen von Glück, die offensichtlich so tief verwurzelt sind in ihrer Generation, dass sogar meine Mutter im Zweifelsfall darauf zurückfällt. Es ist ein Glücksverständnis, das geprägt ist durch bestimmte Rollenzuschreibungen und Normen, denen ich nicht entsprechen kann und will.
Denn vielleicht liegt mein Glück darin, in einer WG auf dem Land mit Freund*innen, einer potentiellen unehelichen Kinderschar, einem Haufen Katzen und Tomatenstauden alt zu werden. Vielleicht auch nicht.
Das ist das Schönste am Soll-Zustand, er ist so viel bunter als die langweilige „Normalität“ und es liegt an mir, ihn zu entdecken und zu gestalten.
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„Jetzt reicht es aber auch mal mit diesem ewigen Feminismus!“
Es ist etwa vier Jahre her. Ich kam an den Weihnachtstagen morgens an den Frühstückstisch. Wir hörten Radio. Der Moderator lies einen sexistischen Spruch ab. Natürlich musste ich das entsprechend kommentieren. Da hielt mein Vater es nicht mehr aus und fuhr mich an: „Jetzt reicht es aber auch mal mit diesem ewigen Feminismus!“
Ein einziger Satz, mit dem er unsere innige Beziehung zerstörte. Mein Vater weiß es wahrscheinlich nicht, aber seit diesem Morgen bin ich wütend auf ihn. Vielleicht ist wütend das falsche Wort. Enttäuscht. Verletzt. Jedenfalls hat dieser Moment unsere Beziehung kaputtgemacht. Ich habe das Gefühl, nicht mehr ich selbst sein zu können, wenn ich mit meinem Vater zusammen bin. Ich kann nicht mehr frei sprechen, nicht mehr frei sein. Ihm zuliebe unterdrücke ich einen wichtigen Teil meines Selbst.
Wir hatten immer ein sehr gutes Verhältnis. Ich war vielleicht kein Papakind, aber er so etwas wie ein „Tochtervater“. Meine Mutter sagt gerne, dass mein Vater erst bei mir gemerkt habe, dass er Kinder hat. Sie glaubt, dass er deshalb alles mit mir nachholen wollte, was er zuvor verpasst hat. Das ist nur ihre Sicht der Dinge, aber es war immer offensichtlich, dass wir eine ganz besondere Beziehung hatten. Wir waren zusammen im Fußballstadion, in den Bergen, am See. Haben fast ritualhaft Winnetou¹ angeschaut, intensiv Lateinvokabeln gelernt und exzessiv Doppelkopf gespielt. Mein Vater hat alles für mich getan und ich wollte ihn stolz machen. Wir waren ein gut funktionierendes System – bis zu diesem Morgen.
Mein Vater war auf einmal Teil der „Anderen“. Der Menschen, die Feminismus als nichtig abtun. Die Diskriminierung ignorieren und Ungerechtigkeiten übersehen. Zum ersten Mal in meinem Leben war mein Vater nicht auf meiner Seite. Das hat wehgetan. Das tut immer noch weh. Auch Jahre, nachdem er diese Worte achtlos in den Raum geworfen hat, schwirren sie mir im Kopf rum. Und jedes Mal versetzen sie mir einen Stich. Sie sind der Inbegriff von etwas, das ich verloren habe. Einer Unschuld vielleicht oder einer Sicherheit.
Ich habe mich mit der Situation arrangiert. Unsere Beziehung ist besser als noch vor ein paar Jahren. Ich selbst bin sicherer geworden und kann mich besser artikulieren. Auch meinem Vater gegenüber. Meinen Feminismus bekommt er nur noch in kleinen Dosen zu spüren. Immerhin wohne ich nicht mehr zuhause. Aber wenn ich einmal dort bin, dann bleibt er nicht von feministischer Kritik verschont. Langsam hat er sich wohl daran gewöhnt. Zumindest hoffe ich das. Doch ganz verziehen habe ich ihm noch nicht.
An den Weihnachtstagen 2016 war ich mit meinem Vater Ski fahren. Wir waren gerade auf dem Weg ins Skigebiet und hörten Radio. Der Moderator machte einen unwitzigen Witz über die Schenkkompetenz von Männern. Da schaute mein Vater mich an und meinte: „Das ist ja eine Frechheit. Das ist doch wohl total sexistisch!“ Ich weiß nicht, ob er erwartet hat, dass ich ihm widerspreche oder ob er mittlerweile tatsächlich verstanden hat, dass Feminismus für alle Geschlechter eine Rolle spielt. Jedenfalls sah ich ihn an, lächelte und sagte nur: „Da hast du vollkommen Recht.“
Vielleicht können wir unsere Beziehung doch wiederherstellen.
[1] Mir ist bewusst, dass Winnetou eine ganze Menge rassistische, sexistische und koloniale Kackscheiße reproduziert, aber leider kann ich nichts für die Fernsehtraditionen meiner Kindheit.
Verweis
Die Inspiration zu diesem Text und das Zitat im Titel kommen von Sarah Ahmeds sehr lesenswertem Buch „Living a Feminist Life“.
von Ickxyz
Ist gerne zuhause und will schlaue Bücher lesen, schaut dann doch eher (weniger) schlaue Serien und trinkt Wein. Großer Fan von schlechten Wortwitzen. Hat Probleme, ihre akademische Schreibweise abzulegen.