Das feministische Café – Meine Geschichte mit Feminismus

Im Feministischen Café treffen sich V. und M. regelmäßig und reden bei Himbeerschnitten und Latte Macchiato über persönliche Themen. Persönlich und oft zugleich politisch. Häufig haben ihre Gespräche etwas mit Feminismus zu tun. Sie reden über ihre Erlebnisse und Gefühle. Das Feministische Café behandelt persönliche Geschichten, die so nur V. und M. erzählen können. Es sind aber auch politische Geschichten, weil sie zugleich die Geschichten von vielen sind. In der ersten Folge tauschen sich V. und M. darüber aus, wie sie mit Feminismus aufgewachsen sind (oder eben nicht). Und wie sich dabei eine Haltung entwickelt hat.


Dieser Artikel thematisiert Familiengeschichten, eigene Vorurteile und queer-feministische Bewegungen.


V.: „Meine Schwester half mir neulich bei einer Bewerbung. Sie hat ein Motivationsschreiben für mich verbessert. Beim Korrigieren hat sie diesen Satz eingefügt: „Vor allem im Austausch mit meinem Kommiliton*innen lerne ich viel dazu, da sie ebenfalls in aktuellen queer-feministische Bewegungen involviert sind“. Als ich das gelesen habe, war ich erstmal irritiert. Stimmte ihre Annahme, dass ich selbst Teil einer queer-feministischen Bewegung bin? Nach einigen vehementen Argumenten meiner Schwester, wurde mir klar, dass sie Recht hatte. Der Satz ist korrekt. Seitdem denke ich öfter darüber nach, wie ich eigentlich Teil dieser Bewegung geworden bin. Vor 10 Jahren nannte ich mich zumindest noch nicht Feministin.“

M.: „Schon interessant, wie sich der Blick auf sich selbst verändert. In Deinem Fall hat sich deine Selbstwahrnehmung in Bezug auf (Queer-)Feminismus ja offenbar ziemlich verändert. Das erinnert mich an ein Couch-Gespräch mit meiner Mutter neulich. Da war es andersherum: Sie meinte, sie würde sich nicht als Feministin bezeichnen, obwohl ich Feminismus immer als eines ihrer Anliegen wahrgenommen habe. Und auch als relevant in ihrer Selbstdarstellung. Aber so bezeichnen will sie sich nicht. Das hat mich überrascht. Was war denn Feminismus vor 10 Jahren für Dich?“

V.: „Ganz ehrlich? Das war für mich kein Thema! Vor 10 Jahren war ich 17. Ich verstand mich damals insofern als politisch, weil ich für Gerechtigkeit war. Von Macht und Diskriminierung hatte ich damals keine Ahnung. Feminismus begegnete mir, wenn überhaupt, als historisches Phänomen. In der 10. Klasse hielt ich zum Beispiel ein Referat zur Frauenbewegung. Auch in meiner Familie gab es keine konkreten Anknüpfungspunkte. Deswegen fände ich es spannend, von dir zu hören, wie du es erlebt hast, mit einer feministischen Mutter aufzuwachsen?“

M.: „Meine Mum, Jahrgang ’47, war Teil der internationalen Student*innen-Bewegung der 70er Jahre. Ich habe sie immer als Feministin wahrgenommen, auch wenn sie sich halt nicht so bezeichnen würde. Beziehungsweise nicht mehr. Ich erinnere mich daran, als wir noch Kinder waren, hatte sie ein EMMA-Abo. Die EMMA hat sich im Arbeitszimmer gestapelt. Und in ihrem Aktivismus als linke Diaspora-Oppositionelle ging und geht es immer auch um feministische Anliegen. Meine Mutter hat die letzten Jahre die Internationale Frauenkonferenz mitorganisiert. Außerdem leitet sie ein Projekt von und für Frauen, die nach Deutschland geflohen sind.“

V.: „Und wie hat sich ihre politische Haltung zu Hause gezeigt? Irgendwie stelle ich mir vor, dass es „speziell“ sein muss, wenn Kinder mit feministischen Eltern(teilen) aufwachsen.“

M.: „Für mich hat sich diese Haltung darin gezeigt, dass sie mich feministisch erzogen hat. Zum Beispiel machte sie klar, dass Hausarbeit von allen zu bewältigen ist. Aufräumen, saugen, wischen, Geschirrspüler ausräumen und einkaufen: Da musste jeder mithelfen. Und zwar so, dass es gerecht war. Zwischen mir und meiner älteren Schwester funktionierte das. Dass meine Mutter und mein Vater die Haus- und Carearbeit nicht 50/50 aufteilten, so wie sie es mir vermittelte, tat und tut dem Effekt und meinem Selbstverständnis im Haushalt zu helfen keinen Abbruch. Gleichzeitig war das alles eingebettet in das, was meine Eltern als ihren (globalen) politischen antikapitalistischen Kampf verstanden und verstehen, und dem sie 90 Prozent ihres Lebens widmen. Du meintest vorhin, Feminismus spielte bei euch zu Hause keine explizite Rolle. Wann ist dir das denn bewusst geworden?“

V.: „Im Studium. Da habe ich angefangen, mich für feministische Theorie zu interessieren. Tatsächlich hat mir die Auseinandersetzung mit Rassismus den Weg dahin eröffnet. Es war – das finde ich interessant! – das erste Machtverhältnis, auf das ich, nach der Schulzeit, „gestoßen“ wurde. Es gibt aber nur wenige Dinge, an die ich mich aus dieser Zeit des ersten Kontakts mit Feminismus bewusst erinnere. Eine konkrete Person, die mir im Gedächtnis geblieben ist, ist mein Kommilitone A., der mich damit aufzog, dass ich beim Sprechen nicht genderte. Und zwar so lange, bis endlich anfing, im Alltag darauf zu achten. Außerdem war ich fürs Studium nach Berlin gekommen und hier gab es zahlreiche Orte, an denen Feminismus eine Rolle spielte. Zuletzt begann ich, Bücher zu lesen: Als eines der ersten popfeministischen Bücher las ich „Alphamädchen – Warum Feminismus das Leben schöner macht“. Und es stimmt, mein Leben ist schöner geworden. Zum Beispiel gehe ich wieder gerne feiern, seitdem ich Partyräume entdeckt habe, in denen mehr darauf geachtet wird, dass sich alle wohlfühlen. Es mag nach einer Kleinigkeit klingen, ist aber ein praktisches Beispiel dafür, wie Räume unsicher und dadurch unzugänglich sind. Oder eben nicht. Aber gleichzeitig ist mein Leben „komplizierter“ geworden, seit ich meine Erfahrungen und Handlungen als eingebunden in Machtverhältnisse verstehe. Jetzt bin ich aber gespannt, wie es bei dir und Feminismus weiterging, nachdem du von zu Hause raus in die Welt gegangen bist?“

M.: „So richtig weiter ging’s mit mir und Feminismus erstmal nicht. Den Feminismus zu Hause habe ich aber auch gar nicht als solchen erlebt. Das hatte aus heutiger Sicht verschiedene Gründe. Ein entscheidender war wohl das gesamte Familienklima – und das, was ich vorhin als deren (globalen) politischen antikapitalistischen Kampf tituliert habe. Meine Eltern waren gerade das zweite Mal aus dem Land, in dem sie aufgewachsen waren, geflohen. Sie waren vor der Revolution Ende der 70er Oppositionelle. Und auch danach, als allmählich eine Diktatur aus der Revolution hervorging. Zugleich haben sie bis zuletzt einen Krieg miterlebt und mein Vater hat an der Front gekämpft. Sie wurden verfolgt, viele ihrer Genoss*innen wurden hingerichtet. Das haben wir als Kinder mitbekommen, obwohl wir in Deutschland waren. Es ging, seitdem meine Schwester und ich auf der Welt sind, sehr ernst und bedrückend bei uns zu Hause zu. Wen wundert’s! Zugleich waren die politische Einstellung und der dazugehörige theoretische, ideologische Überbau meiner Eltern, aus meiner heutigen Sicht, zu einfach gedacht und auch dogmatisch. Für meine Berührung mit Feminismus bedeutete das einen, aus pädagogischer oder erzieherischer Sicht, wenig produktiven oder gar konstruktiven Zugang. Meine Mutter hat feministische Themen extrem selten mit mir besprochen oder veranschaulicht. Geschweige denn hat sie mir was an die Hand gegeben, das es mir leichter gemacht hätte, mich mit Geschlechterrollen überhaupt bewusst auseinanderzusetzen. Dass die herrschenden Zustände falsch waren, war zu Hause immer eher Gesetz und fühlte sich in dem beschriebenen Klima auch emotional so an. Zum vorhin erwähnten ideologisch-theoretischen Überbau: Vermittelt wurde mir zum Beispiel, dass Männer qua Geburt das Böse im Patriachat sind, dass sie dieses allein zu verantworten haben. Eine Art Gleichsetzung. Aus heutiger Sicht kein guter Nährboden, um mich mit Männlichkeiten oder Heterosexualitäten auseinanderzusetzen. Und trotzdem hat es wohl irgendwas bewirkt. Aber du hattest ja nicht nach meiner Kindheit und Jugend gefragt, sondern nach der Zeit nach meinem Auszug, also: Nach dem Abitur entsprach meine Vorstellung von Feminismus schon dem Mainstream: Für mich war es die Ideologie von weißen, älteren, kartoffeligen Ökotanten ohne Sexappeal, die gegen Männer hateten. Verwerflich und vielsagend zugleich, aber so war es.“

V.: „Ich weiß, was du meinst – es gab eine Zeit, da hatte ich dieses Bild auch sehr verinnerlicht. Irgendwie traurig, weil es eine so diverse Bewegung auf ein Stereotyp reduziert. Und wann fing es dann an, dass du dich bewusst mit Feminismus beschäftigt hast?“

M.: „Bewusste Auseinandersetzung kam erst Jahre später im Bachelor und auch da noch sehr langsam. Dass meine lebenslange unausweichliche und alltägliche Konfrontation mit Rassismus – und später auch die kritische Beschäftigung damit – mir letztlich geholfen haben, auch feministische Anliegen zu verstehen, ist eine Erkenntnis der letzten eineinhalb Jahre. Obwohl mir Feminismus auch schon im Bachelor begegnet war, fehlte mir damals ein positiver Zugang. Auch weil die Bewegung, die du zurecht als divers bezeichnest, nicht überall als so divers dargestellt ist. Oder in manchen Räumen ist sie es auch wirklich nicht. Trotzdem habe ich Feminismus mehr und mehr als notwendiges und gerechtfertigtes Anliegen verstanden. Ich habe damals aber weder meine spezifische Involviertheit in Geschlechterfragen oder Sexualitäten verstanden, noch standen mir damals Räume zur Verfügung, mit denen ich mich identifizieren konnte, in denen Feminismus verhandelt wurde. Im Gegenteil. Ich empfand die vorhandenen, mir bekannten Räume schon auch als lustfeindlich, sehr homogen und dogmatisch. Meine Auseinandersetzung war eher angeregt durch Freund*innen aus der Uni, die sich als Feminist*innen verstanden. Wir tauschten uns aus, diskutierten auch viel, aber eher zwanglos so wie du und ich bei einem Kaffee, oder beim Lernen oder in Seminaren. Aber eben nicht in Räumen, die sich das explizit auf die Fahne geschrieben haben. Außerdem hörten diese Freundinnen* mir immer wieder gerne zu, wenn es um Rassismus ging, das bedeutete mir viel.
Du hast ja vorhin erzählt von deiner Erkenntnis, dass Du Teil einer queer-feministischen Bewegung bist. Wie sind denn bei Dir die räumlichen Bezüge und Kontakte zu den Menschen darin konkret entstanden? Gehst und/oder gingst Du zu Treffen, Organisationen, Gruppen o.ä.?“

V.: „Wow, das ist eine interessante Frage. Ich denke, dass meine „späte“ Erkenntnis, darüber dass ich Teil einer queer-feministischen Bewegung bin, stark damit zusammenhängt, dass ich nie Mitglied einer explizit feministischen, aktivistischen Gruppe war. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zu wenig Zeit. Schwierigkeiten eine Gruppe zu finden, vor allem eine, die zu mir passt. Angst in eine neue Gruppe zu gehen. Und nicht zuletzt auch Interesse an anderen Aktivitäten. Und genau wie du finde ich: Feministische Räume wirken für Außenstehende nicht immer offen. Das fängt an bei einer bestimmten Kleidung, die getragen oder nicht getragen werden darf. Und endet bei einem bestimmten Vokabular, das du beherrschen solltest, zumindest, wenn du nicht schräg angeschaut werden möchtest. Ich teile übrigens deine Kritik: Manche Räume sind krass homogen. Und in vielen Räumen werden andere Kategorien als Geschlecht nicht mitgedacht, das ist Mist. Mir scheint aber, dass in manchen Gruppen und Orten eine Reflexion darüber bereits angefangen hat. Das macht mir Mut.
Stimmt, ich war nie Teil einer queer-feministischen Gruppe – aber über die Jahre hinweg habe ich mir ein Netzwerk um mich herum aufgebaut. Beziehungsweise es hat sich entwickelt. Ich bin jetzt im persönlichen und politischen Austausch mit Menschen, die u.a. feministisch denken, handeln, kritisieren und fühlen. Manche davon sind uralte Freund*innen, die sich politisch ähnlich entwickelt haben. Andere Personen habe ich auf Veranstaltungen, Demos und Partys kennen gelernt. Ich bewege mich beruflich in Kontexten politischer Bildungsarbeit. Auch diese haben mich in meiner Entwicklung beeinflusst.“

M.: „Du hast gesagt, dass Feminismus früher überhaupt keine Rolle in deinem Leben gespielt hat. Auch in deiner Familie nicht. Wie ist es denn heute, wenn du heute nach Hause fährst? Musst du deine politische Einstellung an der Haustür abgeben?“

V.: „Es gab Zeiten, da war es schwer für mich, mit meinen Eltern über meine politischen Themen zu sprechen. Ich kann mich daran erinnern, dass sich krasse Auseinandersetzungen entzündeten, sobald ich rassistisches oder sexistisches Verhalten thematisierte. Es war schwierig für mich, das auszuhalten. Dadurch, dass ich weit entfernt wohne, war ich nur selten Zuhause und dann in der wenigen Zeit war es, ehrlich gesagt, ätzend, die Rolle der Unruhestifterin anzunehmen. In den letzten 2 Jahren haben meine Eltern und ich endlich einen guten Umgang damit gefunden. Wir schaffen es jetzt meistens, uns wertschätzend und mit offenem Ohr zu begegnen. Dafür haben wir alle unsere Zeit gebraucht. Inzwischen kann ich mich sogar mit meiner Mutter über Geschlechterstereotype und Sexismus austauschen. Passiert zwar selten, aber ich find’s wunderschön. Der Generationenaustausch ist wertvoll. Mein Vater und ich brauchen da wohl noch etwas länger Zeit – auch wenn ich mich mittlerweile traue, ihm mal ein Buch oder einen Artikel in die Hand zu drücken. Aber zuletzt weiß ich: Meine Energie und mein Engagement für gesellschaftliche Themen habe ich von Zuhause mitbekommen. Dass ich gesellschaftliche Verantwortung übernehme, war meinen Eltern immer ein wichtiges Anliegen. Das haben sie vorgelebt und gefördert. Und dafür bin ich sehr dankbar.“

M.: „Bei mir war die Thematisierung nie ein Problem, im Gegenteil. Durch die politische Laufbahn meiner Eltern drehen sich die Gespräche Zuhause in 90 Prozent der Fälle um politische Themen. Mein Problem ist eher das, was ich vorhin schon angedeutet habe … alle in der Familie, inklusive meiner Schwester und mir, diskutieren gerne über politische Themen. Allerdings ist die Atmosphäre dann auch oft angespannt. Das hat damit zu tun, dass meine Schwester und ich Politisierung eher als aufgezwungen und als Überlebenskampf meiner Eltern erlebt haben. Inhaltlich clasht es mit meiner Mum immer eher, wenn es um Islam und Kopftuch geht. Wir vertreten sehr konträre Standpunkte dazu. Gleichzeitig führe ich gerade mit ihr die spannendsten Gespräche! Meine Mutter ist immer sehr interessiert an dem, was mich bewegt, persönlich, politisch, sie will meine Perspektive verstehen. Sie kämpft aber auch den Kampf vieler Feminist*innen der „alten Schule“. Damit meine ich einen Feminismus, der für die Befreiung der Frau vom Patriachat kämpft. Und dann kommen ihre Kinder mit einer queeren Perspektive und hinterfragen starre Kategorien. Wie kann sie für die Frauen kämpfen, wenn ihr jemand plötzlich sagt: Die Frau gibt es nicht? Wenn das ein Leben lang ihr Anliegen ist und sie dafür gekämpft hat, ist es bestimmt eine große Herausforderung. Wenn das, was immer ihr Leben war, ihre Identität und ihr größter Kampf, ihr sozusagen weggenommen wird. So betrachtet ist es toll, dass sie sich auf die Gespräche mit mir immer wieder einlässt. Zum Beispiel saßen wir über dem Buch „Darum Feminismus!“ von Affront und haben die Inhalte diskutiert. So etwas mit der eigenen Mutter zu tun, ist und bleibt für viele wohl ein Wunschtraum. Dazu kann ich nur sagen: Hey, das war’s für mich auch. Aber zugleich war es auch für mich ein langer Prozess und wird es auch weiterhin bleiben. Da hilft auf jeden Fall Verständnis auf und für beide Seiten.“


von V. und M.

V. und M. haben sich beim Studium kennen gelernt. Mittlerweile treffen sie sich gerne an Orten außerhalb von Academia. Dann sitzen sie entweder in einem netten Café oder erkunden die grüne Orte Berlins. Die Idee Das Feministische Café zu eröffnen entstand im Schlosspark Charlottenburg.