An einem Montagabend im Computerladen: Der Mitarbeiter und ich kommen ins Gespräch darüber, dass Männer* Frauen* oft kein Verständnis für Technik zutrauen. Am Ende sind wir uns einig, dass Geschlechterrollen vor allem eins tun: Menschen in ihrer Freiheit einschränken.
Dieser Artikel thematisiert Mansplaining, Kommunikation, Geschlechterstereotype, Alltagssexismus, Geschlechterungerechtigkeit, lebenswertes Leben.
Ich will neuen Festplatten- und Arbeitsspeicher im Computerladen kaufen. Gedanklich rolle ich schon mit den Augen, als der Mitarbeiter (den ich auf etwa Mitte vierzig schätze und als cis-Mann¹ lese) fragt: „Und das baust du selber ein?“
Ich denke: Ja, das baue ich selber ein. OBWOHL ich eine Frau² bin! Schönen Dank auch, dass du mir das aufgrund meines Geschlechts nicht zutraust. Computerfuzzi halt.
Laut sage ich: „Ja. Mit meiner Nachbarin. Die kann das.“
Ein paar Momente später meint der Mitarbeiter: „Finde ich ja gut, dass du da keine Berührungsängste mit hast.“
Ich: „Wieso, hast du die Erfahrung gemacht, dass manche Frauen Berührungsängste mit Technik haben?“
Er: „Ja, zum Beispiel meine Nichte. Mit der habe ich neulich diskutiert. Die sagte: ,Das kann ich nicht – ich bin doch ein Mädchen!‘ Also, dass sie sich nicht für Technik interessiert, würde ich ja gelten lassen. Ist ja eine Sache von persönlichen Vorlieben. Aber das Argument ‚ich bin doch ein Mädchen‘, das lasse ich nicht gelten!“
Ich: „Wie alt ist deine Nichte denn?“
Er: „18.“
Ich: „Oh.“
Er: „Da hat die Werbung ganz schön viel versaut: ‚Das ist für Mädchen, das ist für Jungs.‘ “
Ich: „Dito.“
Und denke: Das hätte ich dem erstmal – auch aufgrund seines Alters – gar nicht zugetraut, dass er sich mit Gender-Stereotypen in der Werbung auseinandersetzt.
Dabei ist das ja Blödsinn – mit Sexismus setzen sich viele Leute auseinander, egal ob sie Anfang Zwanzig oder Mitte Vierzig sind.³
Der mir immer sympathischer werdende Computerladenmitarbeiter beginnt aus dem Nähkästchen von seiner Kundschaft zu plaudern:
„Wenn ein Paar reinkommt, frag ich erstmal, wer von beiden was kaufen möchte. Das war in einem Fall sie. Dann habe ich mich natürlich an sie gewandt. Und er hat sie ständig unterbrochen und ihr Sachen erklärt. Total anstrengend.
Aber dann war da ein anderes Paar, da wollte auch sie etwas kaufen, und er hat sich total zurückgehalten, nach dem Motto: ‚Nee, mach du mal.‘“
Ich: „Sagt dir der Begriff ‚Mansplaining’ was?
Er: „Öhm nein, jetzt nicht direkt. Also ich kann mir was darunter vorstellen…“
Ich: „Das ist, wenn Männer Frauen ungefragt die Welt erklären.“4
Er: „Ach so!“
Dann bekommt er es endlich hin, die Rechnung auszudrucken (die Drucker-Software funktioniert also auch im Computerladen nicht immer – sympathisch irgendwie) und ich bezahle.
An diesem Abend freue ich mich über zwei Dinge:
Mir wird wieder mal bewusst, dass es wichtig ist, den Einzelhandel zu unterstützen, wenn wir nicht irgendwann in einer Welt leben wollen, in der wir ausschließlich aus dem Amazon-Lagercontainer versorgt werden und uns gar nicht mehr im Laden oder im öffentlichen Raum begegnen, weil wir nur noch per Mausklick kaufen. Dem Amazon-Ungetüm werde ich keinen Cent in den gierigen Schlund werfen.
Und ich freue mich, dass es Menschen gibt, die von starren Gender-Rollen genervt sind und sich einfach nur wünschen, dass jeder Mensch sich so frei wie möglich entfalten kann – und nicht wegen seines Geschlechts diktiert bekommt, wofür er sich zu interessieren hat und wofür nicht.
Arundathi Roy hat mal geschrieben: „Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sondern bereits auf dem Weg. An einem ruhigen Tag kann ich sie atmen hören.“
Heute war so ein Tag.
¹cis (lateinisch: ,diesseits‘): wenn soziales und biologisches Geschlecht übereinstimmen (Gegenteil von trans*).
²Ich bin ’ne weiße cis-Frau, by the way.
³Wobei: semi-alter weißer cis-Mann – der kriegt da schon einen kleinen Bonus. Obwohl das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte.
4Ich will hier noch anmerken, dass Mansplaining ein Phänomen ist, das nur deswegen funktioniert, weil wir in so einem krassen Machtsystem leben, in dem Männer die Vormachtstellung haben (auch Patriarchat genannt). Wenn ein (cis-)Mann verinnerlicht hat, dass er stets recht haben und alles (besser) wissen muss, neigt er auch dazu, gegenüber von Menschen zu mansplainen, die er als unterlegener, dümmer und/oder schwächer wahrnimmt (konkret: Frauen* oder Queers).
Das ist meines Erachtens ein Prozess, der eher unbewusst abläuft und zutiefst verinnerlicht ist. Schade!
Verweise
Blog: Stop! Talking. Post: „Shhh!“ (26.02.2013) https://stoptalk.wordpress.com/2013/02/26/shhh/
Video: #kurzerklärt: Mansplaining – Was ist das? (von tagesschau): https://www.youtube.com/watch?v=xByk2nHlfb4
von Kinga Doe
Kinga Doe beschäftigen tagtäglich sehr viele Dinge. Unter anderem, wie man Inhalte so vermitteln kann, dass möglichst viele Menschen sie verstehen. Und wie eine gerechte Welt für alle [also wirklich alle] in spätestens zwanzig Jahren Realität wird. Ihre Credos: 1. Viele Dinge im Leben ausprobieren, 2. Machen statt Labern.