Wenn mensch anfängt, sich übers Elternteilwerden Gedanken zu machen, dauert es nicht lange bis zur Erkenntnis: Das konservative Vater-Mutter-Kind-Modell ist schon lange nicht mehr hetero-Familienrealität. Trennungen und Scheidungen prägen die sexuelle Liebesbeziehungslandschaft. Doch welche Alternative könnte es zur Alleinerziehung geben? Paula und ihre heterosexuellen Freundinnen denken über Kinder nach.
Dieser Artikel thematisiert Kinderwunsch, Kinderkriegen, alternative Familienbeziehungen, Sorgearbeit, soziale Nachhaltigkeit, Matriarchat, Lebensphasen.
Dieser Text ist für alle, die es interessiert. Vor allem jedoch für meine Freundinnen. Und für mich. Wir¹ sind junge Frauen, würde ich sagen – obwohl ich mich mit dieser Kategorie nicht hundertprozentig identifizieren kann. Ungefähr seit meinem 18. Geburtstag schwanke ich zwischen den Bezeichnungen „Mädchen“ und „Frau“, wann immer ich über mich selbst und Gleichaltrige spreche. Was sind wir also? Mädchen-Frauen? Frauen-Mädchen? Wie soll ich uns nennen? „I’m not a girl, not yet a woman“, hat es Britney Spears tatsächlich mal recht treffend auf den Punkt gebracht, trotzdem wünschte ich, ich müsste hier jetzt nicht Poplyrics von 2001 zitieren.
Für meine Freundinnen und mich ist jedenfalls schleichend eine neue Lebensphase angebrochen – die ihre eigenen Fragen und Antworten, Zweifel und Sicherheiten, Ängste und Selbstbewusstseins mitgebracht hat. Da sind wir also, und fangen zum Beispiel an, uns Gedanken über Fortpflanzung zu machen. Natürlich nicht zum ersten Mal im Leben. Aber jetzt geht es nicht mehr bloß um (gerissene) Kondome und die Einnahme der Pille (danach). Oder um die zugleich beängstigende und befreiende Möglichkeit einer Abtreibung. Zum ersten Mal denken wir darüber nach, ob wir wirklich und wenn ja, wie genau wir Elternteile sein wollen. Echte Elternteile mit echten Babys und echten Schwangerschaften.
Meine Freundinnen und ich haben sie alle schon gespürt: Die Post-geplatztes-Kondom-Panik. Die Drei-Tage-vor-der-Regel-Paranoia. Kommt sie oder kommt sie nicht? Und immer wieder die Erleichterung beim Anblick des blutigen Klopapiers. Selbst wenn wir gar keinen Sex hatten. Die Angst vor einer ungeplanten Schwangerschaft sitzt tief in unseren Knochen. Denn wir wollen jetzt noch keine Kinder! Wir sind doch erst Anfang zwanzig. Und erst müssen wir reisen und studieren und dann wahrscheinlich nochmal reisen und uns selber finden und außerdem sind wir uns nicht so sicher, ob der Typ, mit dem wir gerade schlafen, wirklich der Vater unseres hypothetischen Kindes werden soll.
Trotzdem erzählen wir uns immer wieder zwischen verlegenem Lachen und ironischen Witzen, dass wir jetzt manchmal eine fremdvertraute Sehnsucht in uns spüren, wenn wir Eltern mit kleinen Kindern sehen. Selbst diejenigen unter uns, denen Kinder sonst eher auf die Nerven gehen. Und ich? Finde plötzlich dynamisch aussehende Väter, die ihr Kleinkind im Fahrradsitz festschnallen, attraktiv. Was ist da los? Ist das diese ominöse biologische Uhr, die immer lauter in uns tickt? Wieder Worte, die mensch nicht ohne ein ironisches Lächeln sagen kann. Müssen wir also Mütter werden? Dem Ruf der Natur folgen? Wird die Niederkunft zu den unvermeidlichen Ereignissen unseres Lebens gehören, quasi genauso unumgänglich wie unsere Geburt und unser Tod?
Neulich habe ich eine Dokumentation über eine bestimmte Gattung Entenvögel gesehen. Die Eiderenten. Sobald die Küken geschlüpft sind, verschwinden ihre Eiderenten-Väter in die Mauser und lassen die Weibchen als alleinerziehende Eiderenten-Mütter zurück. Die haben aber anscheinend keine Lust auf diesen workload und tun sich flugs in matriarchalischen Riesenfamilien zusammen, in denen sie sich die Sorgearbeit teilen. In der letzten Kameraeinstellung schippert die große Entenfamilie friedlich über eine skandinavische Meeresenge, während am Horizont die Sonne untergeht. Mein imaginärer Untertitel: Wer braucht schon Männer? Beim Anblick dieser idyllischen Szenerie fielen mir verschiedene Gespräche ein, die ich in letzter Zeit mit meinen Freundinnen geführt habe. Von heterosexuellen Liebesbeziehungen immer wieder enttäuscht und allmählich desillusioniert hatten wir uns gegenseitig in Aussicht gestellt, dass wir unsere in unbestimmter Ferne auf die Welt kommenden Kinder auch einfach zusammen großziehen könnten. Sollte der biologische Vater aus Gründen nicht anwesend sein: Wir wären füreinander da! Und zusammen mit unseren Kindern, Freunden und Freundinnen in einer umweltbewussten Kommune mit Permakultur-Garten und lächelnden Hühnern glücklich bis an unser Lebensende.
Zwar wollen wir weiterhin an die Möglichkeit von gesunder Liebe mit Sex glauben, aber als Scheidungskinder und selbst Zerbrecherinnen und Zerbrochene von diversen Beziehungsversuchen machen wir uns nichts mehr vor. Vielleicht klappt es, vielleicht auch nicht – so oder so ist es besser, einen Plan zu haben. Da können wir uns wenigstens einbilden, auf eine mögliche Schwangerschaft vorbereitet zu sein. Wir reden nicht über den Zweifel, ob wir wirklich so unkonventionell sind wie wir es gerne wären. Wir behalten sie für uns – die Angst, am Ende alleine übrig zu bleiben und bestenfalls in der Rolle der Patentante zu den glücklichen hetero-Nuklearfamilien der Freundinnen zu gehören.
Trotz dieser kaschierten Unsicherheiten kann ich nicht anders, als unseren optimistischen Idealismus zu bewundern. Ich bewundere unsere Fähigkeit, das traditionelle Familienbild zu hinterfragen und Familie neu zu denken. Es passiert etwas, die Veränderungen sind vielleicht noch schüchtern, aber wir haben uns auf den Weg gemacht. Auch das gehört zu dieser Lebensphase. Und wenn wir gut aufpassen, dann schaffen wir es womöglich, unser idealistisches Denken und Handeln in die nächste Phase zu retten. Und von dort aus wieder in die nächste. Und immer so weiter.
¹Wir, damit meine ich vor allem meine Freundinnen und mich – sowie alle Menschen, die sich darin wiederfinden. Dieser Text erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.
Verweis
https://de.wikipedia.org/wiki/Eiderente
von Paula
Paula schreibt jeden Tag. Ihre Texte und Gedichte sind dabei von absoluter subjektiver Emotion und einem anthropologisch-distanzierten Blick geprägt. Ihr Ausdrucksmittel zweiter Wahl ist Farbe auf Papier. Paula glaubt an Polyamorie, aber nicht so sehr an Smartphones.