Das feministische Café – Von den Whitey McWhites dieser Welt

Im Feministischen Café treffen sich V. und M. regelmäßig und reden bei Himbeerschnitte und Latte Macchiato über persönliche Themen. Häufig haben ihre Gespräche mit Feminismus zu tun. Heute tauschen sich V. und M. darüber aus, wie schwer es ihnen oft fällt, Machtverhältnisse im Alltag zu deuten…


Dieser Artikel handelt von Machtverhältnissen, dominanten Redeverhalten, Rassismus und Sexismus, Selbstreflexion.


V.: „Kannst du dich an dieses Seminar im ersten Semester erinnern? Als wir uns ständig über diesen einen Kommilitonen aufgeregt haben? Der hat unglaublich viel Redezeit beansprucht und musste immer zeigen, wie klug er ist. Ich habe ihn als dominanten, etwas nerdigen Cis-Dude gelesen. Meistens habe ich auch so über ihn gesprochen: ‚Nicht schon wieder dieser Cis-Dude!‘. Weißt du, ich hab’ über ihn gesprochen, nie mit ihm. Die ganze Situation will mir nicht aus dem Kopf gehen. Bis heute frage ich mich, was da eigentlich passiert ist und wie das hätte anders gelöst werden können. Ich rege mich auf, wenn ich das Gefühl habe, dass weiße Cis-Männer besonders viel Raum einnehmen. Wenn sie gar nicht merken, wie sie anderen Personen keinen Raum mehr lassen. Aber sich nur darüber aufzuregen ist langfristig ziemlich unbefriedigend. Und ich zweifle auch daran, dass meine vor ihm unausgesprochene Kritik dem Kommilitonen gerecht wurde.“

M.: „Ah, Du meinst Whitey McWhite?! Ja, ich erinnere mich: Mr. Allwissend. Omnipresent und ungefragt zu Ihren Diensten! Er war der Typ, der immer etwas Wichtiges zu sagen hatte. Es gingen bestimmt 8 von 10 Seminarbeiträgen auf sein Konto. Ja, ich habe auch noch viel über Monsieur nachgedacht. Aber auch über mich selbst in der Situation. War ja nicht das erste Mal, dass ich sowas erlebt hab’ – bloß dadurch, dass sich das Ganze über ein Semester hinzog, war es sehr eindrücklich. Ich gebe Dir recht, über jemanden zu reden ist immer erstmal leichter, als mit ihm zu reden. Wie denkst du denn aus heutiger Sicht darüber?“

V.: „Mmmh. Ich war damals oft genervt und frustriert. Auch von mir selbst, weil ich mich handlungsunfähig fühlte. Geholfen hat mir dann, diese Figur des Cis-Dudes zu erfinden oder wie du ihn nennst: Whitey McWhite. Die Figur hilft mir, meinen Ärger zu artikulieren, ohne dabei die Person persönlich anzugreifen. Sie macht es mir möglich, von dem Menschen zu abstrahieren. Deswegen nutze ich die Figur oft in einem Kreis, in dem ich mich verstanden fühle. Diese Räume brauche ich. Gleichzeitig mache ich in den Moment Zuschreibungen, denn persönlich gekannt habe ich den Kommilitonen ja nicht. Und wirklich handlungsfähig gemacht hat mich diese Taktik ja auch nicht.“

M.: „Stimmt! Ich glaube inzwischen, es macht mehr Sinn, sich die ganze Situation – und nicht nur die Person – vor Augen zu führen, um zu verstehen, was da passiert. In einem ersten Schritt heißt das, kritisch mit mir selbst zu sein. Das heißt, ich sollte reflektieren, welche Ideen ich bewusst und unbewusst anwende, um die Situation (hier: eine Person spricht mehr als andere Personen) zu deuten und zu bewerten. Klar kann ich die Person ‚Cis-Dude‘ oder ‚Whitey McWhite‘ nennen. Aber was mache ich damit letztlich? Erstens: Ich reduziere eine komplexe Situation auf das Involviertsein einer (!) Person. Und zweitens: Ich deute und bewerte diese Person ausschließlich vor dem Hintergrund von Patriarchat und einer gesellschaftlichen Ordnung, die nur zwei Geschlechter vorsieht (‚Cis-Dude‘) oder vor dem Hintergrund von Rassismus (‚Whitey McWhite‘). Für mich sind das letztlich zwei schwerwiegende Fehler: Eigentlich steht eine emanzipative Idee von Menschen doch für die größtmögliche Anerkennung individueller Subjektivitäten. Aber in dieser Situation verweigere ich der Person diese Subjektivität letztendlich. Ich schütte sozusagen meine zur Objektivität erklärten Idee darüber was Patriarchat, Geschlechterbinarität oder eben Rassismus gesellschaftlich ausmacht über der anderen Person aus. Daher glaube ich inzwischen, dass diese Figuren, möchte ich in der Situation was verändern oder aktiv werden, kontraproduktiv sind. Weil das letztlich dazu führt, dass wir überfordert sind und nicht so richtig verstehen, was da passiert ist. Ich würde jetzt einfach mal die provokante These formulieren: Ich werde mithilfe dieser Figuren Architekt*in meiner eigenen Ohnmacht!“

V.: „Puuh. Das klingt erstmal hart für mich. Am liebsten würde ich dir widersprechen. Denn wie du merkst, hat die Figur des Cis-Dudes eine wichtige Funktion für mich: Sie macht es mir möglich, meinen Ärger zu artikulieren. Klar geht es in dem Moment zum einen um das individuelle, doofe Verhalten der Person. Aber eben nicht nur: Es geht auch um die Frustration und Wut über Machtverhältnisse. Machtverhältnisse manifestieren sich nun mal auch in den alltäglichen Handlungen. Das ist definitiv ein Mehrwert der Figur. Gleichzeitig gebe ich dir recht: Sie darf nicht dazu führen, dass ich dogmatisch werde. Mir muss klar sein, dass a) die Situation komplexer ist als „Weißer Cis-Dude redet viel“ und b) dass mein Gegenüber durch so viel mehr ausgezeichnet wird als durch diese eine Verhaltensweise, die die Person gerade an den Tag legt. Und ich muss weiter reflektieren. Letztlich will ich herausfinden: Wie bleibe ich handlungsfähig, wenn mir im Alltag Unterdrückungsmechanismen begegnen?“

M.: „Und genau diese Frage nach Handlungsfähigkeit hat mich zu einigen Überlegungen gebracht. Ich bringe beispielhaft zwei Punkte an, die stellvertretend für den unterkomplexen Charakter dieser Figur stehen und die letztlich diese starre, überfordernde Reaktion mitherbeiführen:
Erstens: Für mich geht in dieser Figur unter, dass auch ich selbst in irgendeiner Weise Akteur*in bin. Um eine Situation zu verstehen, möchte ich mich jedoch immer auch selbst mitdenken. Welche Rolle spielen nicht nur meine Erfahrungen mit Rassismus (oder eben Patriachat, Sexismus, Geschlechterbinarität), sondern auch meine Art die Welt zu fassen, sie zu bewerten und auch meine ganz eigene Emotionalität? Und eben nicht nur vor dem Hintergrund, dass Rassismus (und/oder eben andere Macht- und Diskriminierungsdimensionen) die ausschließlich wirkmächtige Komponente hierfür ist.
Zweitens: Die Figur Whitey McWhite fußt auf der Annahme, dass die betreffende Person weiß ist. Aber was bedeutet das konkret? Dass ich immer und überall auf der Welt einen objektiven Bedeutungszusammenhang herstellen kann zwischen Phänotypus, Rassismus und beobachtetem Verhalten? Diese Wahrnehmung verstellt mir womöglich den Blick darauf, was diese Person (noch alles) ausmacht, in welchem Kontext sie sich bewegt. Zum anderen fußt ihre Einordnung auf einer undifferenzierten Konzeptionierung von Rassismus. Dabei liegt es mir fern, Machtbeziehungen zu relativieren oder zu psychologisieren. Es geht mir stattdessen darum, (Alltags-)Situationen bestmöglich zu verstehen.
Kurzum: Situativ gibt es häufig viel zu viele unbekannte Faktoren, als dass ich noch von einer konstruktiven Figur in Bezug auf meine Handlungsfähigkeit in einer solchen Situation sprechen würde. Daher geht mein Plädoyer in folgende Richtung: Indem ich grundsätzlich anerkenne, dass die Ursachen für das, was ich beobachte und empfinde, sehr komplex sind, kann ich womöglich viel eher zu konstruktiven Lösungen für mich und andere Beteiligte kommen.

V.:  „Ich übe mich gerade an solchen konstruktiven Lösungen. Gar nicht immer so einfach. Zum Beispiel sage ich in Gruppensituationen inzwischen öfter Dinge wie: „Hey Leute, ich fände es schön, wenn wir darauf achten, dass alle Menschen die Chance haben, sich am Seminar zu beteiligen und nicht die einen viel und die anderen nichts sagen“. Ich übe. Manchmal gelingt es mir, manchmal nicht. Ich mag, dass der Satz die Verantwortung an die Gesamtgruppe abgibt. Etwas, was in universitären Räumen oft nicht so verstanden wird. Vor allem weil diese Räume von Hierarchien geprägt sind.
Wie das so ist mit komplexen Problemen: Es gibt keine einfachen Lösungen. Und schon gar nicht die eine Lösung. Es ist kontextabhängig, was funktioniert. Ich habe auch Situationen erlebt, in denen die Leitung angesprochen wurde, oder in denen die Person, die viel redete, in einem Zweiergespräch auf ihr Verhalten hingewiesen wurde. Manchmal funktioniert ein Ansprechen. Manchmal leider auch nicht. Und das ist von so vielen Faktoren abhängig: Kennt sich die Gruppe schon länger? Wie ist meine Beziehung zu den Menschen in der Gruppe? Trifft sie sich einmalig oder öfter? Und dann auch: Wie gestalten sich in diesem Raum das Machtverhältnis, z.B. hinsichtlich Rassismus? Was genau sind die Grenzüberschreitungen? Gibt es mehrere Machtverhältnisse, die aufeinander treffen(?)… Puh, so viele Frage, die mich glatt selbst überfordern. Aber ich habe auch gelernt, dass ich sie nicht alle beantworten muss, um etwas zu thematisieren. Ich kann meiner Intuition, dass etwas nicht stimmt, in der Regel vertrauen. Ich glaube, um das Vertrauen in mich zu erlangen, war die Figur ein nicht unwichtiger Schritt. Und dieses Vertrauen wiederum gibt mir die Handlungsmacht, den Mut, die Situation anzusprechen. Manchmal zumindest. Und dabei beziehe ich die Anderen mit ein – denn die Verantwortung für den Raum tragen wir gemeinsam.“


von V. und M.

V. und M. haben sich beim Studium kennen gelernt. Mittlerweile treffen sie sich gerne an Orten außerhalb von Academia. Dann sitzen sie entweder in einem netten Café oder erkunden die grünen Orte Berlins. Die Idee Das Feministische Café zu eröffnen entstand im Schlosspark Charlottenburg.